Negative Stimmung beim Stillen: Was hinter dem dysphorischen Milchspendereflex (D-MER) steckt

Von einem dysphorischen Milchspendereflex oder kurz D-MER ist die Rede, wenn eine Mutter beim Stillen ihres Babys negative Gefühle empfindet. Dazu gehören innere Leere, Traurigkeit, Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit.

Von Jens Hirseland

Worum handelt es sich bei D-MER?

D-MER ist die Abkürzung des englischen Fachbegriffes "Dysphoric Milk Election Reflex". Deutsch übersetzt bedeutet dies "Dysphorischer Milchspendereflex". Gemeint ist damit das Auftreten von verschiedenen negativen Emotionen der Mutter beim Stillen ihres Kindes.

Obwohl die Mutter ihr Baby über alles liebt, sieht sie sich dennoch diesen Negativgefühlen ausgesetzt. Dabei handelt es sich zumeist um:

Der dysphorische Milchspendereflex hält nur wenige Minuten an und zeigt sich ganz plötzlich. Anschließend gehen die negativen Gedanken wieder vollständig zurück.

D-MER stellt ein weitgehend unbekanntes Phänomen dar, das bislang nur wenig erforscht wurde.

Baby an der Brust seiner Mutter
Die negativen Gefühle verschwinden meist genauso schnell wie sie gekommen sind

Ursachen des dysphorischen Milchspendereflexes

Neueren Forschungen zufolge, stellt D-MER eine körperliche Reaktion auf hormonelle Vorgänge dar, die sich beim Stillen des Kindes abspielen. Es handelt sich also nicht um psychische Ursachen und lässt sich nicht auf unterdrückte Negativemotionen oder Erlebnisse zurückführen.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass D-MER aufgrund einer unangemessenen Aktivität des Hormons Dopamin beim Auslösen des Milchspendereflexes entsteht. Die Untersuchungen über den genauen Ablauf des dysphorischen Milchspendereflexes sind allerdings noch nicht abgeschlossen.

Wie sich D-MER bemerkbar macht

Das Hauptsymptom des dysphorischen Milchspendereflexes ist eine plötzlich einsetzende Traurigkeit der Mutter während des Stillvorgangs. Sie dauert in der Regel 30 bis 60 Sekunden und kann eine unterschiedliche Intensität annehmen. Nach wenigen Minuten sind die negativen Gefühle wieder vergangen.

Viele Mütter berichten zudem über

  • eine körperliche Leere in der Magengegend,
  • ein innerliches Seufzen,
  • Wehmut,
  • Verzweiflung oder
  • tiefe Depressionen.

Im schlimmsten Fall sind sogar Gedanken an Selbstverletzungen oder Selbstmord möglich. Bei anderen betroffenen Müttern zeigen sich mitunter auch Angstgefühle, die sich bis zu einer Panikattacke steigern können. Bei einigen wenigen Müttern setzen Unruhe, Aggressionen oder auch Feindseligkeit ein.

Schreiendes Baby
Die Symptome beginnen bereits mit dem Eintreten des Milchflusses, zum Beispiel wenn das hungrige Baby sich durch Schreien bemerkbar macht

Die Gefühle, die mit D-MER verbunden sind, treten beim Milchspendereflex beim Still- oder Pumpvorgang auf. Es kann sich sowohl um ein einmaliges Vorkommnis beim ersten Stillen handeln, als auch wiederholt vorkommen.

Ausgelöst wird der dysphorische Milchspendereflex nicht durch das Stimulieren der Brustwarze oder den Saugvorgang durch das Baby, sondern spontan vor dem Milchfluss, wenn zum Beispiel das Baby weint oder die Mutter an ihr Baby denkt.

Ein unbewusstes Ablehnen des Stillvorgangs ist D-MER nicht. Es lässt sich auch nicht einem Baby-Blues oder einer postpartalen Depression (PPD) zuordnen. Allerdings ist ein gleichzeitiges Auftreten durchaus möglich.

Verlauf

Der dysphorische Milchspendereflex kann einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Handelt es sich lediglich um eine leichtere Variante, kommt es in der Regel nach drei Monaten zu einer Besserung, ohne dass eine medizinische Behandlung stattfinden müsste.

Bei der mittelschweren Verlaufsform dauert es zumeist sechs bis zwölf Monate, bis eine Besserung des Zustands eintritt.

Im Extremfall halten die Beschwerden bis zum kompletten Abstillen an. Eine spezielle Norm beim Verlauf von D-MER ließ sich bislang nicht erkennen.

Wann zum Arzt?

Verläuft der D-MER derart intensiv, dass Mutter und Kind darunter leiden, ist es sinnvoll, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Ein Problem ist allerdings, dass bislang nur wenigen Medizinern das Problem des dysphorischen Milchspendereflexes bekannt ist. Mitunter schämen sich die betroffenen Mütter auch für ihre Gefühle und wollen sich deshalb keinem Mediziner anvertrauen. Aus diesem Grund gilt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Frauen und Ärzten als überaus wichtig.

Behandlung des dysphorischen Milchspendereflexes

Nimmt der dysphorische Milchspendereflex einen schwerwiegenden Verlauf, kann eine ärztliche Behandlung sinnvoll sein. Dabei erhält die Patientin vom Arzt Medikamente, die den Dopaminspiegel im Körper erhöhen.

Handelt es sich um weniger gravierende Auswirkungen, gelten Hilfestellungen von Stillberaterinnen als sinnvoll.

Was die betroffenen Mütter selbst tun können

Viele Frauen, die nicht die erhofften Glücksgefühle beim Stillen ihres Babys empfinden, befürchten als psychisch krank eingestuft zu werden und Antidepressiva nehmen zu müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil die Ursachen des D-MER nicht psychischer, sondern physischer Natur sind. Wichtig ist jedoch, mit einer Vertrauensperson wie dem Partner offen über die Probleme, die durch D-MER entstehen, zu sprechen. Nicht selten stellt dies bereits eine größere Entlastung dar.

Austausch mit anderen Frauen, die unter D-MER leiden

Über das Internet oder Selbsthilfegruppen besteht die Möglichkeit, sich mit anderen betroffenen Müttern über den dysphorischen Milchspendereflex auszutauschen. Durch den Austausch bemerken die Frauen, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind und können sich gegenseitig Tipps geben.

Junge Mütter in einer Krabbelgruppe
Ein Austausch mit anderen betroffenen Müttern erleichtert den Umgang mit dem D-MER

D-MER-Tagebuch

Hilfreich kann auch das Führen eines speziellen Tagebuchs über D-MER sein. Darin werden sämtliche Maßnahmen oder Ereignisse festgehalten, die sich verstärkend oder bessernd auf den dysphorischen Milchspendereflex auswirken.

Das Ausschütten von Dopamin fördern

Eine hilfreiche Maßnahme stellt die Förderung der Dopaminausschüttung dar. Dazu gehören in erster Linie reichlich Bewegung an der frischen Luft und genügend Schlaf.

  • Junge Frau mit rosa Turnhose auf allen Vieren im Gras, ein Bein in die Höhe gestreckt

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  • Blonde Mutter mit ihrem Baby beim Schwimmenlernen im Schwimmbecken

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  • Nahaufnahme junge blonde Frau im Bett schläft

    © Andrejs Pidjass - www.fotolia.de

Ebenfalls wichtig ist eine gesunde Ernährung. Diese sollte Lebensmittel beinhalten wie zum Beispiel:

  • fettarme Milchprodukte
  • Bananen
  • Karotten
  • Avocados
  • Paprika
  • Brokkoli
  • Mandeln

Auf der anderen Seite gilt es, Nahrungs- und Genussmittel zu meiden, die das Ausschütten des Dopamins hemmen. Dabei handelt es sich vor allem um:

  • Mahlzeiten, die schwer zu verdauen sind wie fettes Essen
  • ein Übermaß an Zucker, Kaffee oder Tee
  • alkoholische Getränke
  • Zigaretten

Auch sollte zuviel Stress vermieden werden.

Verzicht üben

Auf fettes Essen, Alkohol und Rauchen sollte verzichtet werden.

  • Diverse Fast Food-Speisen auf Holzbrett - Pizza, Burger, Pommes, Chips und Cola

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  • Drei Weinflaschen, daneben Glas mit Rotwein und Korken

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  • Glas Aschenbecher mit glühender Zigarette auf schwarzem Tisch

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Für Ablenkung während des Stillens sorgen

Um die düsteren Gedanken während des Stillens zu vertreiben, empfiehlt es sich, für Ablenkung zu sorgen. Als hilfreich gelten entspannende Musik oder eine Aromatherapie. Generell sollten sämtliche Aktivitäten gefördert werden, die der Mutter Freude bereiten und sich lindernd auf die D-MER-Symptome auswirken.

Medikamente

Muss die Betroffene Arzneimittel einnehmen wie beispielsweise Metoclopramid (MCP) oder dopamin-antagonistische Neuroleptika, sollte Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden. Es wird empfohlen, diese Präparate durch andere Mittel zu ersetzen.

Arzneimittel in starken Fällen

Liegt ein stark ausgeprägter D-MER vor, können Medikamente hilfreich sein, mit denen sich der Dopaminlevel im Organismus erhöhen lässt. Dabei handelt es sich in der Regel um Dopamin-Wiederaufnahmehemmer oder Dopamin-Agonisten, weil es sonst häufiger zum Abstillen kommt.

Eine Behandlung mit Psychopharmaka oder eine Psychotherapie bringen hingegen keinerlei Erfolg, wenn keine weiteren psychischen Probleme bestehen.