Überaktive Blase (Reizblase) - Die sensorische und motorische Dranginkontinenz

Unter einer sensorischen oder motorischen Dranginkontinenz versteht man eine überaktive Blase, auch Reizblase genannt. Dabei kommt es zu einem nicht beabsichtigten Verlust von Urin durch das Zusammenziehen des Blasenmuskels. Im Gegensatz zur Blasenentzündung lassen sich dabei keine Keime im Harn nachweisen. Behandelt wird mit Medikamenten und Blasentraining; auch eine Hormontherapie ist möglich. Lesen Sie über die Merkmale der sensorischen bzw. motorischen Drangkontinenz.

Von Jens Hirseland

Verbreitung

Fast jede dritte Frau über 30 Jahren leidet unter einer überaktiven Blase (Dranginkontinenz ), oftmals verbunden mit krampfartigen Schmerzen. Die Reizblase ist aber kein rein weibliches Phänomen: auch viele Männer verspüren ständigen und kaum zu unterdrückenden Harndrang.

Bis zu 14 Prozent der Deutschen sind betroffen. Der Leidensdruck ist groß, dennoch gehen viele Betroffene nicht zum Arzt. Dabei stehen die Behandlungschancen gut.

Reizblase oder Blasenentzündung?

Die Blase ist leer, und Sie verspüren trotzdem häufig den Drang, auf Toilette zu gehen? Das könnte eine Blasenentzündung sein. Wenn keine Keime im Urin nachweisbar sind, handelt es sich dagegen um eine Reizblase.

Die Dranginkontinenz wird auch als Urge-Inkontinenz bezeichnet. Man unterscheidet zwischen motorischer und sensorischer Dranginkontinenz. Während bei einer sensorischen Dranginkontinenz eine Überempfindlichkeitsreaktion der Schleimhaut vorliegt, handelt es sich bei der motorischen Dranginkontinenz um eine Überaktivität der Muskulatur.

Bei einer sensorischen Dranginkontinenz ist die Wahrnehmung der Blasenfüllung gestört, das heißt, es besteht bei dem Betroffenen ein vorzeitiges Füllungsgefühl. Bei einer motorischen Dranginkontinenz kommt es zu einer Enthemmung der efferenten Nervenimpulse des für die Entleerung verantwortlichen Harnblasenmuskels, dem Musculus detrusor. Dies führt jedoch zum vorzeitigen Zusammenziehen des Schließmuskels.

Bei einer Dranginkontinenz ist der Verschlussmechanismus nicht gestört. Zum Einnässen kommt es durch das nicht beeinflussbare Zusammenziehen des Blasenmuskels. Schon eine geringe Füllung der Blase führt zu starkem Harndrang, der nicht willentlich unterdrückt werden kann.

Symptome

Ein typisches Symptom für Dranginkontinenz ist der starke Harndrang, der plötzlich und ungewöhnlich oft auftritt. Darüber hinaus kommt es zum Verlust von Urin.

Tritt beim Wasserlassen außerdem noch ein brennendes Gefühl auf, ist dies ein Indiz für eine Harnwegsinfektion. In manchen Fällen bestehen auch starke Unterleibsschmerzen.

Besonders betroffen von einer Dranginkontinenz sind ältere Menschen über 60 Jahren. Bei jedem zweiten Mann, der unter Harninkontinenz leidet, besteht eine Dranginkontinenz. Das Risiko an Dranginkontinenz zu erkranken, steigt mit zunehmendem Lebensalter.

Ursachen und Folgen

Verursacht wird eine überaktive Blase oftmals durch entzündliche Erkrankungen der unteren Harnwege. Aber auch Veränderungen wie gut- oder bösartige Vergrößerungen der Prostata, Harnröhrenstrikturen oder neurologische Krankheiten wie

können der Auslöser für eine Dranginkontinenz sein. Eine Reizblase kann zudem durch

ausgelöst werden. Ebenso möglich sind Blasentumore. Bei Frauen können auch die Wechseljahre zu einer Überaktivität der Blase führen, weil es in diesem Zeitraum zu Veränderungen an der Harnröhrenbeschaffenheit kommt. Zeigen sich weitere Veränderungen wie eine Harnröhrenverengung, löst dies oftmals eine Reizblase aus.

Ebenfalls als Ursachen für eine sekundäre Reizblase kommt die dauerhafte Einnahme von Diuretika (Ausschwemmungsmedikamente) in Betracht.

Eine aktuelle Studie aus Finnland legt außerdem nahe, dass Raucherinnen dreimal häufiger eine Reizbase entwickeln als nichtrauchende Frauen. Als Ursache führen die Forscher den Botenstoff Acetylcholin an: er dockt an Rezeptoren in der Blasenwand an und führt dort letztlich zu einer Anspannung der Muskulatur. Nikotin aktiviert diesen Prozess, auch wenn die Blase nicht gefüllt ist.

Sensorische Dranginkontinenz

Eine sensorische Dranginkontinenz wird in der Regel durch Blasensteine oder ständige Blasenentzündungen hervorgerufen. Da die Rezeptoren, die für die Meldung des Blasenfüllungsgrads an das Gehirn zuständig sind, überempfindlich reagieren, veranlasst das Gehirn infolgedessen das Zusammenziehen des Blasenmuskels, was wiederum zur Inkontinenz führt. Dadurch werden ständig kleine Mengen an Urin ausgeschieden.

Motorische Dranginkontinenz

Im Falle einer motorischen Dranginkontinenz, die man auch als neuropathische Blase bezeichnet, werden die Signale zwischen Gehirn und Blase nicht gehemmt. Das heißt, dass unwillkürlich Urin aus der Harnröhre abgeht, da sich der zuständige Muskel zusammenzieht.

Diese Muskelkontraktionen können nicht unterdrückt werden, was zu einer Steigerung des Drucks in der Blase führt. Der Betroffene verspürt den Druck und muss ihm nachgeben.

Diagnostik

Da ähnliche Symptome wie bei einer Reizblase auch bei organischen Erkrankungen wie beispielsweise Harnwegsinfektionen auftreten können, ist es sehr wichtig, diese im Rahmen der Diagnose auszuschließen. Besonders wichtig ist dabei die Krankengeschichte des Patienten.

So hat der Arzt die Möglichkeit, durch gezielte Fragen festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine Reizblase oder eine organische Krankheit handelt. Außerdem erfolgt die Untersuchung des Urins, um einer eventuellen Infektion auf die Spur zu kommen.

Darüber hinaus führt der Arzt eine Ultraschalluntersuchung (Sonografie) von Blase, Harnleiter und Nieren durch. Auf diese Weise lassen sich Verengungen oder Entzündungen feststellen.

Eine weitere Untersuchungsmethode ist die Blasendruckmessung (Zystometrie). Bei diesem Verfahren ermittelt man das Fassungsvermögen der Harnblase.

Behandlung

Miktionsprotokoll

Um eine Dranginkontinenz wirksam zu behandeln, wird oftmals ein so genanntes Miktionsprotokoll geführt. Dabei handelt es sich um eine Art Tagebuch, in dem der Betroffene seine Trink- und Urinmengen sowie die Uhrzeiten protokolliert. Auch Harndrang oder unfreiwilliger Urinverlust wird vermerkt.

Auf diese Weise lässt sich das Toilettengangverhalten bewusst wahrnehmen. Außerdem werden Auffälligkeiten erkannt, sodass man ihnen entgegenwirken kann.

Medikamente und Blasentraining

Darüber hinaus verabreicht man dem Patienten Anticholinergika, die sich dämpfend auf die überaktive Muskulatur der Blase auswirken. Durch die Medikamente wird die Kapazität der Harnblase erhöht, wodurch sie auch wirklich voll werden kann, bevor es zum Harndrang kommt.

Zu den gängigsten Präparaten zählen:

  • Fesoterodin
  • Propiverin
  • Trospiumbromid
  • Solifenacin
  • Darifenacin
  • Tolterodin
  • Clinidiumbromid
  • Oxybutynin

Wenn die Wirkung nicht ausreicht, könnte eine neue Therapie helfen: In einer klinischen Studie mit 240 Frauen haben britische Forscher die Injektion von Botulinumtoxin in die Blasenmuskulatur getestet. Speziell der unwillkürliche Harnabgang ließ sich dadurch reduzieren - allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen.

Besteht eine Infektion, verordnet man außerdem Antibiotika. Mit dem Kürbis liefert auch die Natur ein wirksames Mittel gegen Blasenbeschwerden - ob frisch, als getrocknete Kerne oder Granulat.

Weiterhin kann ein spezielles Blasentraining durchgeführt werden, das dem Patienten dabei hilft, wieder ein Gefühl für die Blase zu bekommen und zu einer Vergrößerung des Füllungsvolumens führt. Bei stressbedingter Reizblase kann das helfen, treten die Beschwerden in Folge einer Blasen- oder Gebärmuttersenkung auf, hat sich Beckenbodentraining bewährt.

Psycho- und Hormontherapie

Nicht selten steht eine Reizblase in Zusammenhang mit psychischen Problemen. Zu deren Behandlung kann eine Psychotherapie überaus wichtig sein. Als besonders geeignet gilt die Verhaltenstherapie, bei der der Patient lernt, die Toilette nur noch in bestimmten Zeitintervallen aufzusuchen.

Auch die Einnahme von trizyklischen Antidepressiva gilt als sinnvoll. Bei Frauen in den Wechseljahren erfolgt oftmals eine begrenzte Abgabe von Östrogen.

Im Rahmen einer Psychotherapie kommen häufig bewährte Entspannungsmethoden zum Einsatz, um die Reizblase unter Kontrolle zu bringen. Dabei handelt es sich zumeist um Autogenes Training und die Progressive Muskelentspannung. Nachdem der Patient diese Techniken erlernt hat, wendet er sie täglich selbst an.

Prognose

Ob die Therapie einer hyperaktiven Blase erfolgreich verläuft, hängt häufig von deren Ursache ab. So sind die Erfolgsaussichten bei der sekundären Form höher als bei der primären Form, da sich bei letzterer lediglich die Symptome behandeln lassen.

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