Dystonie - Formen, Ursachen und Behandlung

Bei einer Dystonie handelt es sich um eine Anspannung der Muskeln, die längere Zeit anhält und sich nicht willentlich steuern lässt. Der Begriff Dystonie stammt aus dem Altgriechischen und setzt sich aus den Worten "Dys" (falsch oder schlecht) und "Tonos" (Spannung) zusammen. Sie gehört zu den extrapyramidalen Hyperkinesien. Bemerkbar machen sich Dystonien durch ungewöhnliche Fehlhaltungen oder krampfhafte Bewegungen, die bestimmte Körperregionen oder den gesamten Körper betreffen können. Ihren neurologischen Ursprung weisen die Dystonien in den motorischen Gehirnzentren auf. Mit der vegetativen Dystonie hat die klassische Dystonie jedoch nichts zu tun. Lesen Sie hier alles Wissenswerte zur Dystonie.

Von Jens Hirseland
Klassifikation nach ICD-10: G24
ICD-10 ist ein weltweit verwendetes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Der sogenannte ICD-Code ist zum Beispiel auf einem ärztlichen Attest zu finden.

Dystonieformen

Es gibt mehrere Dystonieformen:

  • Tremor (Muskelzittern)
  • Athetosen (langsame ausfahrende Bewegungen der Gliedmaßen)
  • Chorea (plötzlich einsetzende unregelmäßige Bewegungen von Gesicht, Hals, Rumpf oder Gliedmaßen)
  • Ballismus (eine extrapyramidale Hyperkinesie)

Darüber hinaus differenziert die Medizin zwischen einer

  • primären Dystonie, die keine erkennbaren Auslöser hat (zum Beispiel erblich bedingt), sowie
  • sekundärer Dystonie, die durch eine bestimmte Ursache wie eine Verletzung hervorgerufen wird.

Dystonien werden, je nachdem an welcher Körperregion sie auftreten, auch in verschiedene Gruppen eingeteilt:

Fokale Dystonie

Von einer fokalen Dystonie ist die Rede, wenn sich die Bewegungsstörung auf eine einzige Körperregion beschränkt. Dazu zählen unter anderem Kiefer, Hals oder Augenlider.

Eine krankhafte Aktivität der Halsmuskeln ist als zervikale Dystonie bekannt, während Ärzte ein Verkrampfen der Lidschlussmuskeln als Blepharospasmus bezeichnen.

Segmentale Dystonie

Bei einer segmentalen Dystonie sind zwei benachbarte Körperbereiche von der Bewegungsstörung betroffen. Dies können der Hals und die Arme sowie Gesicht oder Kiefer sein.

Multifokale Dystonie

Im Falle einer multifokalen Dystonie zeigen sich die Fehlhaltungen an mindestens zwei nicht benachbarten Körperregionen, wie beispielsweise Arm und Bein.

Hemidystonie

Kommt es zu einer Hemidystonie, tritt sie an den Gliedmaßen einer Körperhälfte auf.

Generalisierte Dystonie

Weitet sich die Dystonie auf mehrere nicht benachbarte Körperstellen aus, liegt eine generalisierte Dystonie vor. Davon können der Rumpf, die Beine sowie mindestens eine weitere Körperregion betroffen sein. Diese Dystonieform zeigt sich nur sehr selten. Aufgrund ihrer schweren Beeinträchtigungen benötigt der Patient ständige Pflege.

Häufigkeit einer Dystonie

Prinzipiell ist das Auftreten einer Dystonie in jedem Lebensalter möglich. Allein in Deutschland leiden ungefähr 80.000 Bundesbürger unter der neurologischen Bewegungsstörung. Davon sind rund 15.000 Patienten Jugendliche und Kinder.

Setzt eine Dystonie im Kindesalter ein, breitet sie sich oftmals von einer Körperregion auf den Rest des Körpers aus. Im Erwachsenenalter beschränkt sie sich zumeist auf eine einzelne Körperregion.

Ursachen einer Dystonie

Ursachen einer primären Dystonie

Auf welche Weise eine primäre Dystonie entsteht, ließ sich bislang noch nicht klären. Mediziner gehen davon aus, dass an den Basalganglien, die zu den Hirnstrukturen zählen, eine Fehlsteuerung besteht. Durch die Basalganglien werden Vorgänge von unbewussten Bewegungen geregelt. Kommt es an dieser Hirnstruktur zu einer fehlerhaften Funktion, hat dies unkontrollierte Bewegungen zur Folge. Darüber hinaus zeigen sich Dystonien häufig nach Verletzungen der Basalganglien, was für diese These spricht.

Obwohl sich bei einigen primären Dystonien genetische Einflüsse wie bestimmte Mutationen ergaben, konnten bei den meisten Bewegungsstörungen keine genauen Ursachen identifiziert werden.

Ursachen einer sekundären Dystonie

Klarer sind die Ursachen für eine sekundäre Dystonie. So kann diese zum Beispiel durch Erkrankungen des Zentralnervensystems entstehen. Dabei werden die Basalganglien in Mitleidenschaft gezogen, was wiederum zu gestörten Muskelbewegungen an bestimmten Körperregionen führt.

Die häufigsten Auslöser einer sekundären Dystonie:

Aber auch einige Arzneimittel rufen eine Dystonie als Langzeitnebenwirkung hervor. Dazu zählen in erster Linie sämtliche Medikamente, die ihre Wirkung auf das zentrale Nervensystem entfalten. Dies sind vor allem Psychopharmaka wie Neuroleptika, die unter anderem gegen Schizophrenie zum Einsatz gelangen. Mitunter sind auch Antidepressiva, Antikonvulsiva, Aufputschmittel oder Antihistaminika zur Behandlung von Allergien für das Entstehen einer Dystonie verantwortlich.

Folgen der Dystonie

Eine Dystonie kann sich auf die Lebensqualität der betroffenen Person erheblich auswirken. Zum Beispiel sind durch die Fehlhaltungen bestimmte alltägliche Aktivitäten wie das Autofahren kaum noch oder sogar überhaupt nicht mehr möglich.

Nicht selten geht die Dystonie mit weiteren Beschwerden einher wie Schmerzen, Einklemmungen von Nerven oder degenerativen Erscheinungen.

Oft ziehen sich die Patienten von ihrem sozialen Umfeld zurück und leiden unter dem Verlust ihres Selbstbewusstseins. Manchmal hat dies wiederum psychische Erkrankungen wie Angstzustände oder Depressionen zur Folge.

Wann zum Arzt?

Obwohl eine Dystonie die Gesundheit nicht immer gefährdet, empfiehlt sich schon beim Auftreten der ersten Beschwerden der Gang zu einem Arzt. Eine wichtige Rolle spielt die korrekte Einordnung der Bewegungsstörung, da bestimmte Grunderkrankungen für sie verantwortlich sein können. Außerdem lässt sich die Lebensqualität des Patienten durch eine rasch einsetzende Behandlung verbessern.

Als erste Anlaufstelle für eine Untersuchung dient der Hausarzt. Er kann den Patienten an einen geeigneten Facharzt wie einen Neurologen weiterleiten.

Diagnose einer Dystonie

Eine Dystonie zu diagnostizieren, ist für die Ärzte nicht immer leicht. So fällt das klinische Bild von Patient zu Patient oft sehr unterschiedlich aus. Außerdem lassen sich kurze Dystonien leicht mit sogenannten Tics verwechseln, die einer Dystonie ähneln. Spezielle Untersuchungen und Tests zur Diagnose einer Dystonie stehen nicht zur Verfügung. Daher muss der Arzt die Störung durch das Ausschließen anderer Ursachen feststellen.

Ein wichtiges Hilfsmittel für die Diagnose bildet das Erfassen der Krankengeschichte des Patienten. So erkundigt sich der Arzt bei kindlichen Patienten bei deren Eltern danach, wie die Geburt verlaufen ist. Von Interesse ist außerdem, in welchem Alter die Beschwerden das erste Mal auftraten, welche Vorerkrankungen und frühere Verletzungen bestehen. Außerdem möchte der Arzt wissen, ob in der Familie schon einmal ähnliche Fälle auftraten und welche Arzneimittel der Patient einnimmt.

Behandlung einer Dystonie

Zur Therapie einer Dystonie gibt es mehrere Optionen. Sie haben das Ziel, die Aktivitäten des Alltags durch funktionelle Besserungen leichter zu gestalten und Schmerzzustände zu vermindern. Wichtigste Therapiemaßnahmen stellen die Gabe von Medikamenten sowie chirurgische Eingriffe dar. Zur Unterstützung eignen sich physiotherapeutische Maßnahmen, orthopädische Behandlungen und Entspannungsübungen.

Medikamentöse Therapie

Die Behandlung der Dystonie mit Medikamenten umfasst vor allem die Gabe von Botulinumtoxin und Anticholinergika.

Das Neurotoxin Botulinumtoxin (BTX) wird in Form von örtlichen Injektionen dargereicht. Bis die Wirkung einsetzt, vergehen drei bis sieben Tage. Nach drei Wochen wird der Höhepunkt der Behandlung erreicht. Nach einigen Wochen oder Monaten erfolgt eine Wiederholung der BTX-Gabe. Dabei kann die positive Wirkung bei einigen Patienten zurückgehen. In solchen Fällen erhöhen die Ärzte die Dosis oder steigen vom Serotyp A auf Serotyp B um. Möglich sind Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit.

Alternativ lassen sich auch Anticholinergika verabreichen. Diese Präparate entfalten ihre Wirkung auf das vegetative Nervensystem. Sie haben sich bereits bei einer Vielzahl von Patienten bewährt.

Als weitere hilfreiche Medikamente zur Therapie einer Dystonie gelten Antiepileptika, L-Dopa sowie Benzodiazepine.

Operative Behandlung

Führt die medikamentöse Therapie nicht zur Besserung der Beschwerden, ist in manchen Fällen ein operativer Eingriff sinnvoll. Zur Anwendung gelangen Operationsverfahren wie die selektive periphere Denervierung und die tiefe Hirnstimulation.

Im Rahmen der selektiven peripheren Denervierung werden die Nervenäste, die die Muskeln zur Bewegung stimulieren, durchtrennt. Bei der tiefen Hirnstimulation erfolgt das Platzieren eines Implantats innerhalb der Basalganglien. Es sorgt für die elektrische Stimulation dieses Hirnabschnitts, um die Bewegungsabläufe zu verbessern.

Prognose bei einer Dystonie

Die Dystonie ist leider nicht heilbar. Dennoch besteht die Möglichkeit, ihre Auswirkungen zu lindern und damit dem Patienten eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.

Prävention einer Dystonie

Einer primären Dystonie lässt sich nicht vorbeugen. So ist sie zumeist angeboren. Außerdem sind ihre Ursachen zum Teil noch unklar. Auch bei einer sekundären Dystonie ist eine gezielte Prävention nur schwer möglich, weil sie von anderen Erkrankungen oder Verletzungen ausgelöst wird. Sinnvoll kann ein Verzicht auf bestimmte Medikamente sein, die eine Dystonie auslösen können, was mit einem Arzt individuell abzuklären ist.

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