Harnverhalt - Ursachen, Komplikationen und Behandlung

Unter Harnverhalt wird die Unfähigkeit verstanden, die Harnblase komplett oder zumindest partiell zu entleeren. Das bedeutet, dass die betroffenen Personen entweder Probleme haben, überhaupt mit dem Wasserlassen zu beginnen oder der Urin nicht vollständig abgegeben werden kann, obwohl starker Harndrang besteht. Die Ursachen sind vielfältig, häufig liegen aber eine Prostatavergrößerung, Nierensteine oder eine Erkrankung der Harnblase vor. Mehr über die Ursachen, mögliche Komplikationen und die Behandlung lesen Sie in diesem Artikel.

Von Jens Hirseland

Die Medizin bezeichnet die Harnverhaltung auch als Ischurie oder Harnretention und rechnet ihn zu den Blasenentleerungsstörungen.

Akuter Harnverhalt

Es wird zwischen einem akuten und einem chronischen Harnverhalt unterschieden. Der akute Harnverhalt stellt einen medizinischen Notfall dar, weil das Risiko besteht, dass die Harnblase einreißt.

Betroffen von dieser Blasenentleerungsstörung sind in erster Linie ältere Männer. Grund ist zumeist eine gutartige Vergrößerung der Prostata (Vorsteherdrüse), die zu einer abrupten Einengung der Harnröhre führt. Aber auch Blasen- oder Nierensteine sowie Tumore, die die ableitenden Harnwege blockieren, können für eine akute Harnverhaltung verantwortlich sein. Ebenfalls zu den Auslösern gehören Nervenstörungen, die zum Beispiel durch einen Bandscheibenvorfall hervorgerufen werden.

Chronischer Harnverhalt

Beim chronischen Harnverhalt sind normalerweise keine Schmerzen zu verspüren. Allerdings leiden die Betroffenen unter permanentem Harndrang. Trotzdem können sie nur wenig Wasser lassen, sodass sich der Harndrang nach dem Toilettengang fortsetzt.

Ohne eine medizinische Behandlung droht der chronische Harnverhalt in eine Überlaufinkontinenz überzugehen. Außerdem ist ein Urinrückstau in Richtung Nierenbecken möglich, der gravierende Nierenbeeinträchtigungen nach sich ziehen kann.

Grafik der Harnblase mit Beschriftung
Lage der Harnblase, Harnwege und Prostata

Ursachen für Harnverhalt

Es kommen verschiedene Ursachen für Harnverhalt infrage. In den meisten Fällen sind Harnwegsinfekte für das Blasenleiden verantwortlich.

Grafik einer Prostatavergrößerung
Die Harnröhre wird durch die vergrößerte Prostata blockiert

Einnahme von Medikamenten als Ursache

Manchmal ist auch die Einnahme von bestimmten Arzneimitteln für das Entstehen einer Harnverhaltung ursächlich. Dabei handelt es sich meist um Neuroleptika wie Fluspirilen oder Haloperidol, Antidepressiva oder Beruhigungsmittel wie Diazepam oder Anticholinergika.

Geburt als Ursache

Frauen können gelegentlich durch einen überlangen Geburtsvorgang an Harnverhalt leiden. Mitunter ist eine Periduralanästhesie während der Geburt für das Leiden verantwortlich. Normalerweise geht der Harnverhalt später aber auch ohne Behandlung von allein wieder zurück.

Psychische Ursachen

Bei einigen Menschen rufen Angststörungen eine intensive Anspannung der Blasenmuskeln hervor, sodass dies eine Harnverhaltung nach sich zieht. In der Medizin ist dann von einer Paruresis die Rede, die zu den psychischen Blasenentleerungsstörungen zählt. Verantwortlich dafür sind meist Stress oder Angstgefühle. Manche Patienten schämen sich auch einfach intensiv dafür, auf einer öffentlichen Toilette ihre Notdurft verrichten zu müssen, sodass sie dort nicht urinieren können.

Wie macht sich Harnverhalt bemerkbar?

Beim Ablauf des Harnverhalts ist zwischen der akuten und der chronischen Form zu unterscheiden.

Aufgrund der übermäßigen Füllung der Blase mit Urin tritt eine Überdehnung des Organs auf, die sich durch ein intensives Druckgefühl oder Schmerzen in der Unterleibsregion äußert. Manchmal zeigt sich die ausgeprägte Blasenfüllung auch durch eine Vorwölbung des Unterbauchs.

Der chronische Harnverhalt führt dazu, dass sich der Blasenschließmuskel nicht mehr vollständig schließen kann. Im Laufe der Zeit kommt es zu seinem Nachgeben, was zu einer Überlaufblase führt, die sich durch Harnträufeln bemerkbar macht. Es droht eine Überlaufinkontinenz, bei der die Betroffenen unwillkürlich Urin abgeben, ohne es zu wollen.

Komplikationen durch Harnverhalt

Vor allem durch den akuten Harnverhalt kann es zu Komplikationen kommen. So besteht die Gefahr, dass die Harnblase einreißt. Beim chronischen Harnverhalt kann sich der Urin bis zu den Nieren anstauen und diese dauerhaft schädigen.

Weitere mögliche Folgeerscheinungen:

Wann zum Arzt?

Ein akuter Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall. Besteht Verdacht auf ihn, muss umgehend ein Notarzt alarmiert werden, um Spätfolgen für die Harnblase oder Nieren zu verhindern. Da die Schmerzen jedoch sehr ausgeprägt sind, begeben sich die meisten Betroffenen ohnehin deswegen zum Arzt.

Auch bei einem chronischen Harnverhalt empfiehlt sich der Gang zum Arzt. Dies gilt besonders, wenn das Leiden von Schmerzen, Blut im Urin und Inkontinenz begleitet wird.

Diagnose eines Harnverhalts

Zu Beginn der Untersuchung erkundigt sich der Arzt danach, ob der Patient möglicherweise unter Grunderkrankungen leidet, die für den Harnverhalt verantwortlich sein können. Von Interesse ist außerdem, ob spezielle Medikamente zur Anwendung kommen oder sich der Betroffene zuvor chirurgischen Eingriffen an der Blase unterziehen musste.

Körperliche Untersuchung

An die Anamnese schließt sich die körperliche Untersuchung des Patienten an. Dabei tastet der Mediziner den Unterleib ab. Eine volle Blase kann gut ertastet werden. Außerdem erfolgt eine rektale Untersuchung, durch die sich eine Vergrößerung der Prostata feststellen lässt.

Laboruntersuchungen

Ferner gibt der Patient eine Blut- und Urinprobe ab, deren Analyse in einem Labor stattfindet. Durch dieses Vorgehen lassen sich Hinweise auf bakterielle Infektionen erhalten. Weiterhin ist eine Einschätzung der Nierenfunktionen möglich. Überprüft wird zudem der Prostatawert PSA.

Ultraschalluntersuchung

Als beste Option, rasch der Ursache des Harnverhalts auf die Spur zu kommen, gilt die Ultraschalluntersuchung. Ohne einen operativen Eingriff vornehmen zu müssen, erhält der Arzt einen guten Überblick über den Füllungsstand der Harnblase sowie das Becken und die Nieren. Der Patient braucht wiederum keine Schmerzen zu befürchten. Sogar Harn- oder Nierensteine sowie Tumore können per Ultraschall entdeckt werden.

Blasenspiegelung

Gelingt es, die Harnblase zu entleeren, was mit einem Blasenkatheter möglich ist, lässt sich eine Zystoskopie (Blasenspiegelung) durchführen. Das Zystoskop ist mit einer Minikamera ausgestattet, die über die Harnwege in die Harnblase vorgeschoben wird. Via Bildschirm und einem angeschlossenen Kabel kann der Arzt krankhafte Veränderungen erkennen. Sogar kleine therapeutische Maßnahmen sind mit dem Endoskop möglich.

Weitere Untersuchungen

Von der Ursache der Harnverhaltung hängt ab, ob noch weitere bildgebende Verfahren notwendig sind. Dabei kann es sich um Röntgenaufnahmen, eine Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) handeln. Mit ihnen sind Gewebeveränderungen oder Tumore diagnostizierbar.

Behandlung eines Harnverhalts

Die Behandlung des Harnverhalts richtet sich nach der auslösenden Ursache. In der Regel wird die überfüllte Harnblase jedoch erst einmal kontrolliert entleert. Zu diesem Zweck gelangt ein Harnröhrenkatheter zur Anwendung. Mit dessen Hilfe lässt sich der Harn schrittweise ablassen, was sich für den Patienten mit einem Rückgang der Schmerzen aufgrund der überfüllten Blase bemerkbar macht. Ferner kann durch diese Maßnahme möglichen Komplikationen wie Blasenwandblutungen vorgebeugt werden. In manchen Fällen bleibt der Katheter auch dauerhaft in der Harnblase.

Gabe von Medikamenten

Ist eine bakterielle Infektion von Harnröhre oder Blase der Urheber des Harnverhalts, erhält der Patient antibiotische Arzneistoffe wie Cotrimoxazol oder Amoxicillin. Eine generelle sinnvolle medikamentöse Therapie zur Behandlung von Harnverhalt gibt es bislang jedoch nicht.

Behandlung von Harnsteinen

Im Falle eines Steinleidens besteht die Möglichkeit, die verursachenden Steine schon im Rahmen einer Blasenspiegelung zu entfernen. Erreichen sie einem bestimmten Umfang, zertrümmert der Arzt sie zuvor mit einer Ultraschallsonde. Daraufhin werden die zerkleinerten Steinteilchen mit dem Urin normal aus dem Körper ausgeschieden. Bei manchen Patienten müssen die Harnsteine aber auch durch einen chirurgischen Eingriff entfernt werden.

Weitere Behandlungsmethoden

Liegt die Ursache für den Harnverhalt in einer neurologischen Grunderkrankung oder einem Krebsleiden, ist deren gezielte Behandlung erforderlich, um den Harnverhalt zu bessern.

Sind psychische Probleme für die Blasenentleerungsstörung verantwortlich, findet eine Psychotherapie wie eine kognitive Verhaltenstherapie statt. In deren Rahmen lernt der Patient, wie er angstauslösende Gedanken und Situationen entweder vermeidet oder überwindet.

Was man selbst gegen Harnverhalt tun kann

Vor allem ältere Männer oder schwangere Frauen leiden häufig unter Blasenentleerungsstörungen wie Harnverhalt. Um ihnen entgegenzuwirken, gibt es verschiedene Möglichkeiten. So ist es wichtig, Vorgehensweisen zu entwickeln, den Harndrang zu vermindern. Dazu gehört der Verzicht auf den Genuss von entwässernden Getränken wie Cola oder Kaffee.

Als hilfreich bei einer gutartigen Vergrößerung der Prostata gilt ein regelmäßiges Training der Harnblase. Der Betroffene gibt dem Drang, sofort zur Toilette zu gehen, nicht nach. Auf diese Weise lernt die Blase, mehr Harn zu halten.

Prognose bei Harnverhalt

Die Aussichten für Harnverhalt hängen von der auslösenden Ursache der Blasenentleerungsstörung ab. Erfolgt die Therapie rechtzeitig, sind normalerweise keine Komplikationen zu befürchten. Ohne eine Behandlung droht jedoch ein chronischer Verlauf, der eine Überlaufinkontinenz oder Urinstau zur Folge haben kann.

Harnverhalt vorbeugen

In einigen Fällen lässt sich Harnverhalt vorbeugen, was wiederum von seiner Ursache abhängt. Um bakteriellen Blaseninfektionen entgegenzuwirken, empfiehlt sich eine konsequente Hygiene des Intimbereichs. Bestehen Grunderkrankungen, die eine Harnverhaltung auslösen können, sollte rechtzeitig ein Arzt zu Rate gezogen werden.